Donnerstag, 11. November 2010

Shared Services Center in der Finanzwirtschaft - Synergien nutzen, Skaleneffekte erzielen

In der deutschen Finanzwirtschaft gewinnen Shared Services Center (SSC) zusehends an Bedeutung. Neben der Zentralisierung von Standardprozessen kann durch die geografisch unabhängige und parallel erfolgende Bearbeitung von Prozessschritten die Zusammenarbeit mit den dezentralen Geschäftseinheiten verbessert und die Servicequalität erhöht werden. Gleichzeitig können Synergien genutzt und Skaleneffekte erzielt werden.
SSC vereinfachen zudem die Post-Merger- Integration der betroffenen Prozesse, zum Beispiel durch eine einheitliche IT-Architektur und Kostenstellenstruktur im Center. Markus Zillner (Markus Zillner ist Partner im Bereich Finance Transformation/ Financial Services bei der Management- & Technologieberatung Bearing- Point.)

SSC – interne Servicegesellschaften, die prozessorientiert Dienstleistungen bündeln, konzentrieren und den Konzerngesellschaften als Dienstleistung zur Verfügung stellen – sind mittlerweile ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Finanzindustrie. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Management- und Technologieberatung BearingPoint in Zusammenarbeit mit dem E-Finance Lab unter 138 europäischen Bank- und Versicherungsunternehmen.

Laut Studie hat sich das SSC-Modell etabliert: Über 40 % der bestehenden SSC sind bereits seit drei Jahren und länger im Einsatz. Die Befragten geben an, bedeutende Kostensenkungen erreicht zu haben. So konnten nahezu vier von fünf Unternehmen ihre Kosten in den relevanten Prozessen um über 20 % senken. Die meisten erreichten eine Amortisation innerhalb von drei Jahren oder kürzer. Beispiele globaler Finanzdienstleister zeigen, dass mehr als 70 % nachhaltige Kostenreduktion innerhalb von zwölf Monaten realisiert werden kann, wenn Prozesse in konzerninterne (Captive) SSC in Niedriglohnländer – zum Beispiel Polen, Rumänien oder Indien – migriert werden. Dies ist selbst für komplexere, hochwertige Rechnungswesen- und Controllingprozesse realisierbar, sofern die Migration in das SSC sowie der parallel laufende Betrieb stringent gesteuert werden.

Die Bedeutung von Shared Services als Teil des Geschäftsmodells der Banken und Versicherer und als Element ihrer Operational- Excellence-Initiativen nimmt stark zu. Innovative Formen von SSC wie Centers of Excellence werden bereits von den Vorreitern der Finanzdienstleistungsbranche betrieben. Für die europäischen Finanzdienstleister bieten SSC in Zukunft jedoch noch sehr viel mehr strategische Potenziale zur Kostenoptimierung bei gleichzeitiger Verbesserung der Prozess- und Servicequalität in den Kernfinanzierungs-, Steuerungs- und Supportprozessen.


Vorteile gegenüber Outsourcing

Im Unterschied zum Outsourcing, bei dem externe Dienstleister mit der Ausführung von Prozessen beauftragt werden, handelt es sich bei Shared Services um eine Form der konzerninternen Leistungserbringung. Durch den Einsatz von SSC als unternehmensinterne Organisationsform sollen die Vorteile des Outsourcing- Modells genutzt, die Nachteile hingegen umgangen werden. Im Gegensatz zum Outsourcing gehört die klassische Form des SSC eindeutig mehrheitlich, wenn nicht sogar zu 100 %, dem Unternehmen.

Der Hauptunterschied besteht also in der Eigentümerstruktur, was einen Vorteil hinsichtlich des Kontrollaspekts der Unternehmung gegenüber dem SSC darstellt. Genauer gesagt ist das Unternehmen als Betreiber mit gewissen Rechten (zum Beispiel Anweisungs- und Durchgriffsrechten) ausgestattet. Das Unternehmen kann die Leistungserbringung und die Kompensation des SSC disziplinarisch überwachen (zum Beispiel durch interne Audits), gegebenenfalls sanktionieren und höheren Einfluss auf die Prozessqualität ausüben.

Obwohl weniger Kontrolle nicht zwangsläufig zu einer schlechteren Leistung führen muss, besteht beim Outsourcing ein ganz klares Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Unternehmen und dem externen Service Provider. Finanzinstitute nutzen SSC schon seit über zehn Jahren als wichtiges Element zur Optimierung ihres Geschäftsmodells. Durch die Vielzahl an Initiativen wurden Standards entwickelt und erfolgreich eingeführt. Dieses Wissen, die bewährten Vorgehensmodelle sowie die dazugehörigen Best Practices haben dazu geführt, dass sich die Unternehmen verstärkt für das Modell der konzerninternen (Captive) Leistungserbringung entscheiden.

Weitere Vorteile, die diesen Trend verstärken, sind die vereinfachten und transparenteren rechtlichen, technischen (zum Beispiel Schnittstellen) und vertraglichen (Service Level Agreements) Rahmenbedingungen sowie die höhere Flexibilität bei gleichzeitig geringerem Aufwand als im Outsourcing, die bei der Captive Solution zum Tragen kommen. Bei den Unternehmen, bei denen Innovation Priorität hat, haben sich diese Strukturen bereits über Jahre etabliert und bewährt. Hat man ein internes SSC einmal aufgebaut, können flexibel weitere Prozesse (zum Beispiel Einkauf, HR, Reisekosten) in das Center überführt werden.

Auch im Hinblick auf das Kostenargument weisen interne Center in der Regel Vorteile gegenüber dem Outsourcing auf, da die externen Dienstleister natürlich eine hohe Gewinnmarge in ihre Preise einkalkulieren und somit die interne Variante meist kostengünstiger darzustellen ist. Ein weiterer Vorteil eines SSC ist, dass das erarbeitete Know-how innerhalb der Unternehmung bleibt und nicht auf den externen Anbieter transferiert wird.

Für besonders geeignet halten die meisten Finanzdienstleister traditionelle SSC, die sich überwiegend auf transaktionsgetriebene Geschäftsvorfälle (zum Beispiel im Finanzbereich) fokussieren. In den nächsten fünf bis zehn Jahren dürften zudem Center of Excellence als Organisationsform an Bedeutung gewinnen. Im Rahmen der Centers of Expertise/Excellence wird die reine Zentralisierung einheitlicher Prozesse übertroffen und der Schwerpunkt auf die Bündelung von Experten-Know-how (zum Beispiel für Controlling-Aufgaben wie Analyse- und Planungsunterstützung) gelegt.

Weiterhin gibt es die Möglichkeit, SSC-Dienstleistungen auch externen Kunden anzubieten oder sie bei externen Anbietern einzukaufen. Laut Studie spielen diese bei der Wahl der zukünftigen Organisationsform jedoch eine untergeordnete Rolle.


Kosten reduzieren, Prozesse und Qualität optimieren

Die Shared-Services-Organisation ist ein Mittel, um Dienstleistungen markt- bzw. kundenorientiert zu erbringen und gleichzeitig auf Grund der Ressourcenbündelung Skalen-, Synergie-, Kosten-, und Qualitätseffekte zu erzielen. Die nachhaltigen Kosteneffekte werden vor allem durch die Steigerung der Produktivität, die Reduzierung der Kostenbasis und die Einsparungen bei Infrastrukturkosten bewirkt.

Die vereinfachten Strukturen eines SSC, die zu einer schnelleren Entscheidungsfindung beitragen, der verbesserte Kundenservice, die hohe Transparenz bei Leistungserstellung und Einhaltung von Compliance-Richtlinien sowie die niedrigeren Fehlerraten sind nur die wichtigsten Gründe, die für eine nachhaltige Verbesserung der Qualität der Prozesse sprechen. Eine Serviceverbesserung erfolgt auch durch die Unterstützung und kontinuierliche Optimierung lokaler Leistungen/Prozesse durch den Einsatz bewährter Arbeitsmethoden und IT-Tools. Die internen Einheiten werden durch die Anwendung konzernweit standardisierter Prozesse und durch die Ressourcenfreisetzung aufgrund der Fokussierung auf wertschöpfende Services von transaktionalen Tätigkeiten entlastet. Die Einführung von SSC unterstützt die Durchführung von Mergers und Akquisitionen durch rasche Integration in vorhandene effiziente Strukturen und Prozesse.


Nahezu alle Funktionen abgedeckt

Im Industriesektor ist der Anteil an SSC deutlich höher als in der Finanzdienstleistungsbranche, die allerdings in den letzten zwei Jahren stark aufgeholt hat und SSC als zunehmend wichtigeres Element ihres Operating-Modells begreift, plant, um- und einsetzt.

Traditionell wurden vor allem transaktionale Supportprozesse in den Bereichen HR, Finance und IT in SSC zusammengeführt. Überraschenderweise sind laut Studie SSC bei Banken und Versicherungen in Kernprozessen wie beispielsweise Zahlungsverkehr, Kundenbetreuung, Schadensabwicklung oder Depotgeschäft verbreiteter als die klassischen Finanzprozesse. Grundsätzlich wird sich der Trend zur Zentralisierung der Prozesse in SSC aber weiter fortsetzen. Dies sowohl bei Supportwie auch bei Kernprozessen

Die Studie belegt weiterhin, dass insbesondere die Innovatoren der Finanzbranche künftig in den Kerngeschäftsprozessen und den Bereichen Finanzen und Risikomanagement durch den Einsatz von Shared Services profitieren können. Dabei haben die Prozesse aus den Bereichen Mahnwesen, Inkasso und Wertpapierabwicklung das größte Potenzial für die Auslagerung in ein SSC.


Wirtschaftlich schwierige Zeiten beschleunigen Trend

Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Grenze der Dezentralisierung offengelegt. Mit SSC fassen immer mehr Firmen die Kontrolle wieder zusammen. Es gab gute Gründe für die Dezentralisierung: Firmen wollten möglichst nahe bei ihren Kunden sein und ein lückenloses, weltweites Netz anbieten, um ihrerseits den globalen Kunden überall und alles zur Verfügung zu stellen. Darunter litt die Kontrolle – und diese wurde durch die zahlreichen Merger und Akquisitionen eher noch schwieriger. SSC sind jetzt ein Versuch, diese Entwicklungen nicht rückgängig, aber beherrschbar zu machen.

SSC haben die Standardisierung von Prozessen und Methoden verbessert und mehr Zeit für komplexere Aufgaben freigesetzt. So werden beispielsweise in etwa 50 % aller Kunden- und Zahlungsprozesse bereits heute oder in naher Zukunft über ein SSC abgewickelt. Der SSC-Ansatz birgt nicht nur hohes Einsparpotenzial, sondern kann auch die Qualität von Kern- und Supportprozessen von Finanzdienstleistungen deutlich verbessern. Die Kosteneinsparungen können nach einer Design-, Implementierungs- und Migrationsphase von insgesamt circa sechs bis 18 Monaten erreicht werden.

Durch die kontinuierliche Fragmentierung der Wertschöpfungskette, strukturelle Veränderungen sowie eine anhaltende Finanzmarktkonsolidierung und -regulierung, müssen SSC allerdings steigenden Ansprüchen hinsichtlich Flexibilität und Leistungsfähigkeit gerecht werden.


Change Management als Schlüssel zum Erfolg

Eine Entscheidung für ein SSC wird nur getroffen, wenn ein eindeutiger Nutzen für das Unternehmen besteht. Allerdings stehen den Chancen insbesondere in der Umsetzungsphase Risiken gegenüber. Die BearingPoint-Studie belegt, dass es in circa 30 % der SSC-Migrationen noch nicht gelungen ist, die gesetzten Ziele zu erreichen. Gründe dafür sind vor allem:
  • Probleme im Transition-Management und in der Migration,
  • unzureichend qualifiziertes Personal und Qualität der Prozesse,
  • Beibehaltung einer großen lokalen Organisation, deren Reduktion sich zum Beispiel auf Grund gesetzlicher Beschränkungen verzögert (Arbeitsrecht, Sozialpläne, Betriebsräte, Abfindungen, Verfügbarkeit qualifizierter Mitarbeiter für das SSC),
  • Mangel an Vertrauen und Qualität der Prozesse, Hierarchiestrukturen im Konzern und Politik,
  • unzureichende Standardisierung und Harmonisierung der IT und der Prozesse
Bei der Implementierung eines SSC muss eine Reihe von strategischen Aspekten berücksichtigt werden. Hierzu zählen vor allem die Auswahl der Prozesse, die Standortwahl und Anzahl sowie die Festlegung von Service Level Agreements. Falls mehrere SSC geplant sind, empfiehlt sich die Implementierung eines Piloten, um aus den darin gemachten Erfahrungen zu profitieren. Die wichtigsten Erfolgsfaktoren für die Durchführung eines SSC-Projekts sind:
  • uneingeschränkte Unterstützung und Verpflichtung des Senior Managements,
  • eindeutige Vision und Einbindung in die Ziele und Strategie über das gesamte Unternehmen hinweg,
  • Einbindung der Mitarbeiter, um mögliche Widerstände in den lokalen Einheiten zu hinterfragen und zu beseitigen,
  • umfangreiche Investitionen in ein stringentes Change Management sowie Process Re-Engineering.
Auch eine Top-Down-Implementierung (lokale Einheiten müssen sich unterordnen) gilt als Erfolgsfaktor: Fast alle Befragten der Studie, die diesem Ansatz folgen (70 %), haben große Einsparungen erzielt und waren erfolgreicher als Unternehmen, in denen die Nutzung der Shared Services optional ist. Des Weiteren werden alle durch den Einsatz von SSC verbesserten qualitativen Kriterien und Aspekte der Prozessexzellenz von einer optimierten IT-Infrastruktur sowie gesteuerten Service Level Agreements unterstützt.

Kulturelle Unterschiede und die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal sind die größten Herausforderungen bei der Implementierung eines SSC. Für den erfolgreichen Betrieb ist es daher unbedingt notwendig, Change-Management-Aktivitäten durchzuführen, um kulturelle Unterschiede auch nach der Einführungs-Phase zu überwinden. Ein positives Arbeitsumfeld, um talentierte Fachkräfte anzuziehen und Trainingsmaßnahmen sind weitere wichtige Aspekte. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, gilt es, den richtigen Standort für das SSC auszuwählen.


Ost-Europa und Asien gewinnen an Bedeutung

Die Wahl des geeigneten Standorts für den Betrieb eines SSC ist von zentraler Bedeutung, da es sich um eine strategische Entscheidung mit einem langfristigen Zeitrahmen und erheblichen Investitionen handelt. SSC in der Finanzdienstleistungsbranche sind vor allem Inlands- oder Nearshore-Gesellschaften und auf eine Region (Dienstleistungen werden allen Konzerngesellschaften in einer Region länderübergreifend zur Verfügung gestellt) oder ein Land (SSC pro Land, Dienstleistungen werden allen Konzerngesellschaften in einem Land zur Verfügung gestellt) ausgerichtet.

Tendenziell werden manuelle und standardisierte Prozesse eher in Near- oder Offshore-Standorten aufgesetzt. Ost-Europa ist dabei die bevorzugte Nearshore-Region und auch Asien wird in der Zukunft für globale Finanzdienstleister noch mehr an Bedeutung gewinnen. Dabei ist der Kostenaspekt zusammen mit der Ressourcenverfügbarkeit das zentrale Kriterium im Entscheidungsprozess. Vorrangig sind weiche Faktoren wie Qualifikation und Verfügbarkeit von Mitarbeitern mit entsprechenden Sprachkenntnissen für die Auswahl eines Standorts, gefolgt von Datensicherheit und Recht an geistigem Eigentum.

Der Standort Ost-Europa wird immer wichtiger: Während heutige SSC vorrangig im eigenen Land (47 %) operieren, plant ein Drittel der Befragten künftige SSC in Ost-Europa (gegenwärtig 23 %) und Asien (30 %, inklusive Indien).

Fazit
Banken und Versicherungen können insbesondere in den Kerngeschäftsprozessen und den Bereichen Finanzen und Risikomanagement durch den Einsatz von Shared Services profitieren. Vier wesentliche Trends prägen künftig SSC und ihre Funktion:
  • Neue SSC-Modelle werden die traditionelle Form ergänzen und teilweise ablösen: So genannte Centers of Expertise (32 %), die Experten-Know-how konsolidieren und unternehmensweit zur Verfügung stellen, gewinnen an Relevanz.
  • Mitarbeiter werden zu internen Kunden der SSC, die für Leistungen zahlen. Demnach werden Qualität, Risiko- und Service-Level-Management immer wichtiger, um den reibungslosen Betrieb der SSC zu gewährleisten.
  • Zusätzlich werden komplexe nicht-transaktionsbasierte Prozesse das Leistungsspektrum der SSC erweitern und den Mehrwert für interne Kunden erhöhen.
  • Niedriglohnländer werden noch relevanter: Während heutige SSC vorrangig im eigenen Land (47 %) operieren, planen zwei Drittel der Befragten künftige Zentren in Ost-Europa und Asien (inklusive Indien).
Trotz der beachtlichen Erfolge durch den Einsatz von SSC konzentriert sich die Branche derzeit noch auf die schnell zu erreichenden Ergebnisse. Nun gilt es, bestehende Leistungen weiter zu optimieren, die Kundenzufriedenheit zu steigern, weitere Prozesse in SSC zu migrieren und neue Services zu entwickeln, durch die zusätzlicher Mehrwert für die internen Kunden realisiert werden kann. Mit kontinuierlicher Prozessoptimierung und Maßnahmen zur IT-Anpassung können finanzielle und qualitative Vorteile weiter ausgebaut werden. (via)
 
Copyright 2010 Outsourcing Journal. Unterstützt durch Deutscher Outsourcing Verband